Veröffentlichter Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung vom 2. September 2013 zum Artikel „POLIZEIGEWALT. Alarmierende Signale der Justiz“
Erfreulich an diesem Verfahren und an diesem Urteil ist, dass ausnahmsweise einmal eine Körperverletzung im Amt nicht mit einer vom Polizisten behaupteten Notwehrsituation ihrer gerechten Strafe entzogen wird. Das ist nämlich das übliche Verfahren. Hier war jedoch die Verletzung so gravierend und die Situation so eindeutig keine Notwehrsituation, dass die üblichen Strategien der Justiz, die Polizei vor rechtlichen Konsequenzen von Fehlverhalten zu schützen, nicht möglich waren.
Aber: Das Urteil war zu milde. Angesichts der Tatsache, dass Amnesty International bei ihrer ersten Aktion in Deutschland vor zwei Jahren, die sich mit Polizeigewalt beschäftigte und zu einem Ergebnis von circa 4000 gewalttätigen Übergriffen von Polizisten auf Bürger pro Jahr kam (die Dunkelziffer dürfte noch weitaus höher sein), wäre ein Urteil mit generalpräventiver Wirkung notwendig gewesen. Dies bedeutet, dass der Polizist zu mehr als zwölf Monaten hätte verurteilt werden müssen, damit dienstrechtliche Konsequenzen unvermeidbar sind. Es muss bei allen Polizisten die Botschaft ankommen, dass sie gewalttätige Übergriffe auf Bürger – von den tödlichen, wie neulich wieder einmal in Berlin, ganz zu schweigen – ihren Job kostet. Zurzeit ist es so, dass die Tötungen durch Polizisten nicht angeklagt werden, und wenn der Bürger den Angriff überlebt, steht nur der Bürger vor Gericht. Siehe den Fall der Familie Eder aus Rosenheim.
Warum wurde die Notwendigkeit eines generalpräventiven Urteils von dem Amtsrichter Bonkamp und der Staatsanwältin nicht erkannt und beachtet? Ich bin sicher: Weil sie jung sind und beide noch Karriere machen wollen. Ein Urteil, bei dem der Polizist hätte entlassen werden müssen, hätte bei ihren Vorgesetzten, bis rauf zum Innenminister, sehr großen Unmut erregt.
Für Juristen ist deshalb ziemlich klar, dass das Urteil schon vor der achtstündigen Hauptverhandlung mit über zehn Zeugen bereits feststand. Der Schläger musste zwar verurteilt werden, schon wegen des Sachverständigengutachtens, aber ja nicht so, dass erden Dienst quittieren muss. Viele Strafprozesse sind auf diese Weise nur Show, um den Eindruck, dass wir einen Rechtsstaat hätten, dem unwissenden Volk vorzugaukeln.
Die Bewertung eines wichtigen Sachverhalts wurde hier wieder unter den Tisch fallen gelassen: Viele Konflikte mit der Polizei, so auch dieser,würden gar nicht entstehen, wenn die Polizisten grundsätzlich eine andere Haltung den Bürgern gegenüber hätten. Sich nämlich als ihre Dienstleister betrachten würden und nicht umgekehrt.
Einige der Polizisten sprachen bei ihren Zeugenaussagen von Teresa Z. von „der Dame“. Hätten sie Teresa Z. von Anfang an tatsächlich als Dame behandelt und nicht als Person, mit der man nach Gusto verfahren kann, ihr zum Beispiel einfach Ihr Handy wegnehmen kann, als sie auf dem Weg zur Polizeistation ihre Mutter anrufen wollte, wäre der Konflikt gar nicht entstanden. Es wurde ihr nicht gesagt warum man ihr das Handy wegnehmen wollte, sondern der junge Polizist wollte es ihr einfach wortlos wegnehmen, aus „Eigensicherungsgründen“, wie er in der Verhandlung sagte. Als sich Teresa das nicht gefallen lassen wollte und sich dagegen wehrte, begann die Eskalation, die mit ihrem Spucken und dem polizeilichen Faustschlag in ihr Gesicht endete.
Besonders alarmierend fand ich, dass diese jungen Beamten ihre aggressive Art gegen eine Frau, die immerhin sie zu ihrem eigenen Schutz angerufen hatte, überhaupt nicht fragwürdig fanden. Man bekam bei ihren Aussagen das Gefühl, dass diese Beamten noch in der Zeit autoritärer Erziehungsmethoden leben. Nach dem Motto: „Wenn Du nicht parierst, kriegst du eine in die Schnauze.“
Der Beginn der Eskalation wurde auch von Gericht und Staatsanwaltschaft bei der Nebenklägerin gesehen. Offenbar hält man unhöflich-aggressives Verhalten für absolut vereinbar mit dem polizeilichen Verhaltenskodex. Das fand ich noch weitaus erschreckender als den Boxschlag des Angeklagten.