Veröffentlichter Leserbrief in der Süddeutschen Zeitung vom 5. September 2013 zum Artikel „GEWALT GEGEN DIE POLIZEI. Es wird nicht alles immer schlimmer“
„Ich kann das Klagen der Polizei in Deutschland, dass alles schlimmer werde, nicht so recht glauben. Polizisten sind weder wehrlos, noch wird alles immer schlimmer. Vor allem gibt es nicht mehr Gewalt gegen Beamte. Es hat sich lediglich die Wahrnehmung verschoben.“ Das sagt Rafael Behr, Ex-Polizist und Professor an der Polizeihochschule Hamburg. Die Bürger haben mehr Grund, sich über die Polizei zu beschweren, denn immerhin werden jedes Jahr im Durchschnitt acht Bürger von Polizisten erschossen – keine „Schwerverbrecher“, sondern sehr ähnliche Fälle, wie neulich in Berlin.
Amnesty international hat vor zwei Jahren zum ersten Mal in Deutschland eine Untersuchung gestartet. Zur Polizeigewalt. Das Ergebnis war gar nicht lustig. Interessanterweise stehen meist die Bürger vor Gericht, selbst wenn sie und nicht die Polizisten krankenhausreif geschlagen wurden. Die Verurteilung des Polizisten vor einigen Wochen in München, der einer jungen Frau ins Gesicht geschlagen und ihr das Nasenbein gebrochen hat, war einer der wenigen Fälle, bei dem die Verurteilung nicht mit Berufung auf Notwehr verhindert werden konnte. Das richtige Urteil, das generalpräventive Wirkung gehabt hätte, gab es leider auch hier nicht.
Nicht die Bürger müssen Respekt vor der Polizei haben, sondern umgekehrt. Die Polizisten sind in einem demokratischen Staat Dienstleister des Souveräns, und das sind die Bürger. Dieses Bewusstsein fehlt bei der Polizei noch flächendeckend.
Der Psychologe Georg Sieber hat nach denSchwabinger Krawallen 1962 die richtige Strategie zur Gewaltreduzierung bei Demos entwickelt: keine Uniform, nur weiße Jacken. Und heute: Die Polizei wird aufgerüstet, als ob sie jedes Mal in den Bürgerkrieg zieht, wenn sie das Grundrecht auf Demonstration schützen soll. Dieses Auftreten provoziert Gewalt.