Rechtsanwälte müssen jetzt hellseherische Fähigkeiten haben!

Der Kröte eine Krone: „Anwalt muss Rechtsfehler des Gerichts voraus ahnen und umfassend vortragen“

Das Hamburger OLG kommt in einem Haftungsprozess gegen einen Rechtsanwalt (Urt. v. 11.7.2014 – 8 U 74/13), tatsächlich zu dem Schluss, dass ein Anwalt seine Pflicht aus dem Anwaltsvertrag verletzt, wenn er ‚vorhersehbaren Fehlern‘ des Gerichts nicht entgegenwirkt. Damit der Anwalt haftet, muss das Gericht den Fehler dann natürlich tatsächlich machen, d. h. falsch entscheiden. Fehler bei der Rechtsfindung, die die originäre Aufgabe der Gerichte ist, muss jetzt schon ein Anwalt voraus ahnen und alles dazu tun, dass sie nicht eintreten, weil er sonst haftet? Normalerweise haftet derjenige, der einen Fehler macht, Sie, ich – außer früher dem Kaiser/König/Fürst und heute dem deutschen Richter.

Man kann kaum glauben, was man hier liest. Aber es ist wohl eine neue Variante richterlicher Selbstherrlichkeit, die sich gerade Bahn bricht.

Ich habe im Jurastudium noch gelernt: Obligatorisch ist bei einer Klage nur der Sachvortrag, der muss umfassend und mit Beweisangeboten versehen sein. Rechtliche Ausführungen sind eine freiwillige Dienstleistung der Anwälte, denn die Rechtsfindung obliegt allein dem Gericht. Offenbar gilt dieser Grundsatz nicht mehr.

Die Redaktion des Anwaltsblatts schreibt hierzu:

„Man muss schon die Kröte des BGH schlucken, wonach der Anwalt seinem Mandanten haftet, wenn er auf fehlerhafte rechtliche Hinweise des Gerichts nicht oder nicht ausreichend reagiert hat. Das OLG Hamburg setzt der Kröte nun noch eine Krone auf und verlangt vom Anwalt nicht nur juristische, sondern fast schon hellseherische Fertigkeiten. Der Anwalt müsse auch ohne entsprechenden Hinweis des Gerichts erkennen, dass dieses rechtsfehlerhaft entscheiden werde und dem zuvor kommen: Durch umfassende rechtliche Ausführungen – ansonsten wird vom Anwalt gehaftet.

Aus: Anwaltsblatt 11/2014 (S. 962)

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